Sozialgericht Berlin - S 48 SB 233/07 - Beschluss vom 13.03.2008
Auch Rechtsanwälte haben keinen Anspruch auf Übersendung der Gerichts-/Verfahrensakten in ihre Praxis. Es reicht aus Akteneinsicht bei Gericht zu gewähren oder ggf. die Mitnahme der Akten in die Praxis für einen bestimmten Zeitraum zu gestatten.
Gründe
Das Gesuch des Prozessbevollmächtigten des Klägers, Einsicht in die Akten des Beklagten durch Übersendung in die Kanzleiräume des Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, erweist sich als unbegründet.
Nach § 120 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) haben die Beteiligten, so auch der Kläger, das Recht der Einsicht in die Akten, soweit die übersendende Behörde, was vorliegend nicht erfolgt ist, dieses nicht ausschließt. Dabei kann durch die Beteiligten grundsätzlich nur Akteneinsicht bei Gericht beansprucht werden, auf die Versendung der Akten nach auswärts besteht ein Anspruch nicht (BSG SozR 1500 § 120 Nr. 1). Dies gilt auch für Prozessbevollmächtigte, demnach auch für Rechtsanwälte. Allerdings sind einem Rechtsanwalt die Akten in seine Kanzlei auszuhändigen, wenn dies nicht untunlich ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl. 2005, § 120 Rdnr. 4 m. w. N.). In Ausübung des dem Gericht zustehenden Ermessens hat der Vorsitzende vorliegend Akteneinsicht durch Mitnahme für eine Woche bewilligt, da Gründe für eine Untunlichkeit einer solchen Bewilligung nicht entgegenstanden. Soweit der Prozessbevollmächtigte dagegen vorträgt, in der gerichtlichen Mitteilung "dass eine Aktenversendung grundsätzlich nicht in Betracht komme" könne er eine Ermessensausübung nicht erblicken, kann er damit nicht gehört werden, denn aus der gerichtlichen Mitteilung geht allenfalls hervor, dass im Grundsatz eine Aktenversendung nicht in Betracht kommt, was im Einzelfall gerade nicht ausschließt, dass eine solche in Betracht kommen kann. Auch dringt der Prozessbevollmächtigte nicht zum Erfolg, soweit er einwendet, dass die Abholung der Beklagtenakten von der Geschäftsstelle des Gerichts regelmäßig einen Zeitaufwand von ca. einer Stunde verursachen würde, für den er eine Vergütung nicht erhalten würde. Grundsätzlich muss die Kammer hierbei darauf hinweisen, dass im Rahmen der Vergütung durch die Verfahrensgebühr der Nrn. 3102 und 3103 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) die Aufwendungen für eine Akteneinsicht mit abgegolten sind. Überdies muss auch nicht notwendig der Prozessbevollmächtigte in eigener Person die Akte von der Geschäftsstelle des Gerichts abholen, sondern kann dazu einen mit einer Vollmacht ausgestatteten sachkundigen Vertreter, z. B. eine Bürokraft oder einen Bürovorsteher entsenden. Im Übrigen entstehen bei der forensischen Tätigkeit an Vormittagen für Rechtsanwälte immer wieder unvorhergesehene freie Zeiten durch das Warten auf die Beendigung einer die Terminstunde überschreitenden Verhandlung oder durch überraschende Vertagungen (LSG Hessen, Urteil vom 25.09.1969, Breith 1970, 352). Der Prozessbevollmächtigte selbst hat eingeräumt, ca. 360 sozialrechtliche Angelegenheiten pro Jahr zu betreuen, von denen sicherlich eine Vielzahl gerichtlich anhängiger Verfahren ist, weshalb die Anwesenheit der Bevollmächtigten, welche zu dritt soziiert sind, an verschiedenen Tagen des Jahres im Sozialgericht keine fern liegende Annahme darstellt. Die einfache Entfernung auf dem Straßenwege zwischen der Kanzlei des Bevollmächtigten und dem Gericht beträgt vorliegend 5,3 (gerundet 6) Kilometer. Unter Beachtung der nur sehr kurzen Distanz und der neuerlich kostengünstig zur Verfügung stehenden Parkplätze in unmittelbarer Nähe des Gerichts kann das Gericht eine Unzumutbarkeit für das Aufsuchen desselben nicht feststellen.
Soweit der Prozessbevollmächtigte einen Eingriff in die seine Berufsausübungsfreiheit und einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz rügt, dringt er damit ebenfalls nicht zum Erfolg. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz unter Bezugnahme auf die in Flächenländern tätigen Rechtsanwälte liegt schon deshalb nicht vor, weil in Flächenländern tätigen Rechtsanwälten regelmäßig im Rahmen des § 120 Abs. 1 SGG in Ausübung des durch die Norm eröffneten Ermessens auch nur die Einsichtnahme in die Akten in der Geschäftsstelle eines kanzleinahen Gerichts, ggf. eines anderen Gerichtszweiges, regelmäßig des Amtsgerichts zugestanden werden kann. Soweit im Einzelfall Akten direkt in die Kanzleiräume eines in einem Flächenland tätigen Rechtsanwaltes übersandt werden, trägt dies ggf. dem Umstand Rechnung, dass eine Einsichtnahme in der Geschäftsstelle eines kanzleinahen Gerichts wegen des Umfangs und der Schwierigkeit des Akteninhalts untunlich ist oder aber, dass in ein kanzleinahes Gericht nicht aufzufinden war. Das Gericht kann auch nicht erkennen, dass in die Berufsausübungsfreiheit des Bevollmächtigten eingegriffen wird, denn einerseits steht den Beteiligten das Recht zu, sich gemäß § 120 Abs. 2 Satz 1 SGG durch die Geschäftsstelle Abschriften erteilen zu lassen und andererseits besteht auch in den Fällen, in denen die Beteiligten davon keinen Gebrauch machen, kein Grund zur Annahme, dass dem Bevollmächtigten die Berufsausübung in unangemessener Weise erschwert wird. Der Grundrechtsschutz des Art.12 Abs.1 GG beschränkt sich auf die Abwehr an sich verfassungswidriger, weil etwa übermäßig belastender und nicht zumutbarer Auflagen (Urteil des BVerfG vom 11.Juni 1958, Az.: 1 BvR 596/56, BVerfGE 7, 377). Einen solchen Eingriff stellt die Handhabung der Akteneinsicht in der Sozialgerichtsbarkeit nicht dar. Ebenso wenig handelt es sich dabei um eine unzumutbare, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigende Erschwerung des Rechtswegs, die gegen die Rechtsschutzgarantie des Art.19 Abs.4 GG verstoßen würde. Dass die Ablehnung der Übersendung von Akten in das Büro des Prozessbevollmächtigten den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.103 Abs.1 GG) nicht verletzt, ist vom BVerfG für die Regelung des § 78 Finanzgerichtsordnung (FGO) bereits entschieden (vgl. Beschlüsse vom 26.August 1981, Az.: 2 BvR 637/81 und vom 11.Juli 1984, Az.: 1 BvR 1523/83 – JURIS -).
Schließlich kann der Bevollmächtigte auch mit seinem Hinweis auf die grundlegend ungünstigen Öffnungszeiten der Geschäftsstellen des Gerichts nicht gehört werden, denn jedenfalls sind diese an allen Tagen der Woche ab 08:30 Uhr zu erreichen, regelmäßig bis 13:00 Uhr bzw. bis 15:00 Uhr, donnerstags nach vorheriger, ggf. telefonischer Vereinbarung auch zwischen 15:00 und 18:00 Uhr.
Etwas anderes kann dann gelten, wenn die Wahrung des rechtlichen Gehörs, vgl. § 62 SGG, es gebietet, die Akten zu übersenden, etwa weil durch den Umfang der Akte oder die Schwierigkeit der Materie eine Einsichtnahme in der Geschäftsstelle nicht zumutbar ist. Vorliegend bestehen dafür jedoch keine Anhaltspunkte. Die den Kläger betreffende Schwerbehindertenakte umfasst gerade einmal 36 Blätter. Das Gericht vermag auch eine besondere Schwierigkeit vorliegend nicht zu erkennen, denn es handelt sich um eine Herabsetzungsentscheidung des Beklagten nach abgelaufener Heilungsbewährungszeit, der im Klageverfahren im Rahmen einer hier nur statthaften Anfechtungsklage begegnet werden kann.
Das Gericht hatte keine Veranlassung, nach § 120 Abs. 3 Satz 2 SGG tätig zu werden, denn eine Beschränkung oder Versagung der Akteneinsicht liegt gerade nicht vor; sie ist im Gegenteil genehmigt worden.
Die Entscheidung ist mit einem ordentlichen Rechtsbehelf nicht anfechtbar, § 172 Abs. 2 SGG.