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Nr. 55 AHP 2008 - Tuberkuolse

 

(1) Das tuberkulöse Geschehen muss als pathogenetische Einheit angesehen werden. Um eine gleichmäßige Beurteilung der Tuberkulose sicherzustellen, sind folgende Bezeichnungen und ihre Definitionen zugrunde zu legen: 

I. Primärinfektion bzw. Erstinfektion, Primärkomplex (Primärherdtuberkulose bzw. Erstherdtuberkulose, Primärinfekt)

Eine Primärinfektion ist dann anzunehmen, wenn eine bei vergleichbarer Technik bis dahin negativ ausgefallene Tuberkulinprobe bei erneuter Prüfung positiv wird und keine Anzeichen auf eine bereits früher abgelaufene Tuberkuloseinfektion vorliegen (Kalkherde im Bereich des Thorax, des Halses, des Abdomens sowie Pleuritisresiduen u.a.). 

Die Primärinfektion - überwiegend in der Lunge manifestiert - wird in zunehmendem Maße in der Adoleszenz oder auch später als sogenannte späte Erstinfektion beobachtet. Das Auftreten einer Pleuritis exsudativa, eines Erythema nodosum, von Phlyktänen u. a. kann darauf hinweisen. 

II. Reinfektion (Neuansteckung, Wiederholungsinfektion, Reinfekt)

Die Reinfektion ist eine exogene Neuinfektion infolge erneuter Aufnahme von Tuberkulosebakterien mit Neuherdbildung bei erloschener Tuberkulinallergie. Sie kann dann angenommen werden, wenn bei früher positiven Tuberkulinproben oder feststellbaren Residuen einer durchgemachten Tuberkuloseinfektion nach mehrjährigem krankheitsfreien Intervall die Tuberkulinprobe negativ war, nach erneuter Prüfung mit vergleichbarer Technik wieder positiv geworden ist und neue - für eine Primärinfektion typische - Krankheitsherde nachweisbar sind.

III. Superinfektion (Zusätzliche Ansteckung, Aufpfropfinfektion, Superinfekt)

Die Superinfektion ist eine seltene exogene Neuinfektion infolge erneuter Aufnahme von Tuberkulosebakterien bei erhaltener Tuberkulinallergie. Die Superinfektion kann zur Neuherdbildung führen. Sie darf nicht mit einer Exazerbation alter Herde verwechselt werden.

IV. Exazerbation

Exazerbation ist der Wiederaufbruch bzw. das Wiederaufflackern eines oder mehrerer älterer tuberkulöser Herde aus exogener oder endogener Ursache; häufig erfolgt diese im eigengesetzlichen Verlauf der Tuberkulose.

(2) Für das Auftreten und den Verlauf der tuberkulösen Erkrankung sind sowohl Infektion als auch individuelle Gestaltungsfaktoren und Umwelteinflüsse (z.B. Milieuwechsel, Strapazen und Entbehrungen, wegbahnende Erkrankungen) von Bedeutung. Ein ursächlicher Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn die Infektion nachweisbar z. B. im Dienst erfolgt ist oder vor der Erkrankung solche Umwelteinflüsse als Schädigungstatbestand wesentlich zur Wirkung kamen. Allgemein gehaltene Hinweise, z.B. allein auf die Dienstverrichtung, reichen nicht aus, um den ursächlichen Zusammenhang als wahrscheinlich anzusehen. 

(3) Die Folge einer auf einen Schädigungstatbestand zurückzuführenden Primärinfektion, Reinfektion oder Superinfektion ist Schädigungsfolge im Sinne der Entstehung. Eine durch eine Schädigung verursachte Exazerbation ist immer Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung, wenn die Primärinfektion schädigungsunabhängig war. Es ist schwierig, eine Superinfektion von einer Exazerbation abzugrenzen. Eine eingehende Prüfung ist dazu erforderlich, und es müssen entsprechende klinische und röntgenologische Beweismittel beigebracht werden.

(4) Ein Teil der Rippenfellentzündungen, vor allem bei jüngeren Menschen, ist tuberkulöser Natur, wobei es sich um eine primäre Pleuritis als Ausdruck einer tuberkulösen Erstinfektion bzw. Reinfektion oder um eine Begleitpleuritis als Zeichen einer tuberkulösen Exazerbation handeln kann. 

Auch wenn die initiale Pleuritis scheinbar ausgeheilt ist, können ihr später tuberkulöse Erkrankungen folgen. Je länger der zeitliche Abstand ist, um so sorgfältiger muss geprüft werden, inwieweit neue Noxen für das Auftreten der tuberkulösen Erkrankung maßgebend sind.

Die Differentialdiagnose gegenüber Rippenfellentzündungen anderer Ätiologie ist stets sorgfältig zu klären.

(5) Tritt eine Lungentuberkulose ohne vorausgegangene Rippenfellentzündung nach Wegfall schädigender Einflüsse auf, so kann der ursächliche Zusammenhang als wahrscheinlich angesehen werden, wenn die Widerstandskraft noch durch Folgen der schädigenden Einflüsse erheblich herabgesetzt ist. Das wahrscheinliche Alter der Tuberkulose im Zeitpunkt ihrer Feststellung ist zu berücksichtigen.

Besonders sorgfältig ist der Einfluss einer Dystrophie zu prüfen, da auch während der Reparationsphase (bis zu 2 Jahren) noch mit einer erhöhten Infektanfälligkeit zu rechnen ist. Im Gefolge einer Dystrophie sind sowohl foudroyante Verläufe als auch - vor allem während und nach der Reparationsphase - Verläufe mit sehr langsamer Progredienz beobachtet worden. 

(6) Der ursächliche Zusammenhang zwischen einer Lungentuberkulose und einem Lungenkrebs ist als wahrscheinlich zu beurteilen, wenn der Krebs sich in einem tuberkulös veränderten Gewebe - histologisch nachgewiesen - entwickelt hat (z.B. Kavernenkrebs, Narbenkrebs). Im übrigen wird auf die Nummer 142 verwiesen. 

(7) Extrapulmonale Organherde können oft lange erscheinungsfrei bleiben. Die Latenzzeit, d.h. die Zeit zwischen Streuung der Bakterien und den ersten klinischen Organerscheinungen, schwankt je nach Organsystem sehr erheblich. Vieljährige Latenzzeiten werden besonders bei der Urogenitaltuberkulose, aber auch bei der Nebennierentuberkulöse und dem Tuberkulom des Gehirns beobachtet. Der Heilungsverlauf der extrapulmonalen Tuberkulosen ist oft länger als bei der Lungentuberkulose. Der Zeitpunkt der klinischen Heilung ist nicht immer mit Sicherheit festzustellen. 

(8) Eine durch Trauma verursachte Tuberkulose stellt ein sehr seltenes Ereignis dar. In Betracht kommen die traumatisch bedingte Resistenzschwächung, die traumatische Aktivierung von Herden und das infizierende Trauma.