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Nr. 128 AHP 2008 - Schäden der Wirbelsäule

 

(1) Jede stärkere Formabweichung der Wirbelsäule von ihren physiologischen Krümmungen kann die Leistungsfähigkeit dieses dauernd statisch und dynamisch beanspruchten zentralen Bewegungsorganes erheblich mindern. Neben Funktionsminderung kann es zu degenerativen Veränderungen und zu schmerzhafter Insuffizienz kommen. Formabweichungen können vielerlei Ursachen haben (Assimilations- bzw. Entwicklungsstörungen, Rachitis, Spondylitis, Formveränderungen des Brustkorbs, Beckenschiefstand, Beckenkippung, Hängebauch, einseitige Lähmung der Stammuskulatur, in Fehlform verheilte Wirbelbrüche u. a.).

(2) Die Skoliose ist eine nicht ausgleichbare seitliche Verbiegung der Wirbelsäule verschiedener Genese, meist aus dem Wachstumsalter stammend (und dann durch entsprechende Wachstumsstörungen der Wirbel erkennbar), seltener durch Entzündungsprozess, Trauma o.a. entstanden.

Davon abzugrenzen ist eine kompensatorische seitliche Verbiegung der Wirbelsäule - oft auch Skoliose genannt -, die eine Anpassung an eine Änderung der statischen Verhältnisse darstellt und ausgleichbar oder - nach jahrelangem Bestehen - auch fixiert sein kann. Ausgleichbare wie fixierte seitliche Verbiegungen können Krankheitswert haben; eine zusätzliche MdE kommt nur bei fixierten seitlichen Verbiegungen mit ungünstigen statisch-funktionellen Verhältnissen in Betracht.

(3) Die Scheuermann-Krankheit (Adoleszenten-Kyphose) beruht auf einer Wachstumsstörung, die häufig in einen Rundrücken (Kyphose) bzw. (selten) in einen Flachrücken mündet. Oft setzen erst im späteren Leben Beschwerden ein. Die Diagnose ist röntgenologisch zu stellen; persistierende Vorderkantenapophysen und Keilwirbelbildungen können mit traumatischen Wirbelsäulenschäden verwechselt werden. Ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne der Verschlimmerung kann nur bei abnorm schwerer körperlicher Belastung im Jugendalter angenommen werden.

(4) Osteoporosen (Osteomalazie, Osteopenie) werden nicht durch Wehrdienst, Kriegseinsatz oder ähnliche Belastungen direkt verursacht. Bei einer schweren, langdauernden Dystrophie, bei hartnäckigen Resorptionsstörungen der Verdauungsorgane, bei chronischen Erkrankungen der ableitenden Harnwege oder anderen schweren verzehrenden Erkrankungen, bei bestimmten Störungen der inneren Sekretion u.a. kann eine Osteoporose auftreten. Die auf diese Weise entstandenen Osteoporosen pflegen in der Regel mit der Heilung des Grundleidens abzuklingen, es sei denn, dass bereits eine Verformung von Wirbelkörpern aufgetreten ist (Osteopathie). Bei älteren Menschen auftretende sogenannte Involutionsosteoporosen sind nicht auf äußere Einwirkungen zurückzuführen.

(5) Die Spondylolisthesis (Wirbelgleiten nach vorn auf dem Boden einer Spondylolyse und mit gleichzeitiger Bandscheibendegeneration) ist in der Regel eine schädigungsunabhängige Verknöcherungsstörung. Besonders betroffen sind die unteren Abschnitte der Lendenwirbelsäule. Eine traumatische Spondylolisthesis gibt es nur in äußerst seltenen Fällen nach einem beidseitigen Bruch des Wirbelbogens.

Eine bereits bestehende Spondylolyse oder Spondylolisthesis kann durch Wirbelsäulentraumen verschlimmert werden. Die Annahme einer Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung kommt dann in Betracht, wenn eine wesentliche Zunahme des Gleitens in enger zeitlicher Verbindung mit einem geeigneten Trauma nachgewiesen ist. Die Pseudospondylolisthesis ist Folge einer Bandscheibendegeneration; sie weist keine Wirbelbogenspaltbildung auf.

(6) An der Wirbelsäule gibt es eine Vielzahl von Anomalien und Assimilationsstörungen (Lumbalisation, Sakralisation, Übergangswirbel, Halbwirbel, Blockwirbel, Spaltbildungen an den Wirbelbögen u.a.), die von traumatischen Deformitäten zu unterscheiden sind.

(7) Die Zwischenwirbelscheibe (Bandscheibe) spielt in der Wirbelsäulenpathologie eine hervorragende Rolle. Früher oder später kommt es bei fast allen Menschen durch Flüssigkeits- und Elastizitätsverlust zur Degeneration. Diese ist eine wesentliche Voraussetzung für die Osteochondrose, Spondylose oder Spondylarthrose; bevorzugt befallen sind die untere Halswirbelsäule und die untere Lendenwirbelsäule. Eine weitere Folge kann der Bandscheibenvorfall (Prolaps) sein. Bei angeblicher traumatischer Entstehung eines Bandscheibenvorfalls muss geprüft werden, ob das Trauma nach Mechanik und Schwere geeignet war, den Vorfall der Bandscheibe zu verursachen, oder ob es lediglich der Anlass zur klinischen Manifestation bei fortgeschrittener Zermürbung der Bandscheibe war.

Auch ohne Bandscheibendegeneration werden gleichartige Beschwerdebilder hervorgerufen, hinter denen sich z.B. Veränderungen an den im Wirbelkanal verlaufenden Gefäßen verbergen.

Traumatische Bandscheibenschädigungen sind selten. Sie kommen z.B. bei diskoligamentären Wirbelsäulenverletzungen oder bei Wirbelbrüchen an der benachbarten Zwischenwirbelscheibe oder bei Stich- und Schussverletzungen vor, die die Bandscheibe direkt treffen.

Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule nach

  • langjährigem Heben oder Tragen schwerer Lasten oder nach langjähriger Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung oder
  • nach langjähriger, vorwiegend vertikaler Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen

können Schädigungsfolge sein, sofern die in den Merkblättern zu den entsprechenden Berufskrankheiten genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Anmerkung

Gleiches gilt für die bandscheibenbedingten Erkrankungen der Halswirbelsäule nach langjährigem Tragen schwerer Lasten auf der Schulter.

(8) Zur die Spondylitis ankylosans (Bechterew-Krankheit) siehe Nummer 140.