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Nr. 140 AHP 2008 - Krankheiten des rheumatischen Formenkreises

 

(1) Unter Krankheiten des rheumatischen Formenkreises werden ätiologisch und pathogenetisch unterschiedliche Krankheitsbilder zusammengefaßt, deren gemeinsame Merkmale Schmerz und Funktionsstörungen am Bewegungsapparat sind. Der rheumatische Formenkreis umfasst Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen entzündlicher Art (z.B. Polyarthritiden, Spondylitis ankylosans), Gelenk- und Wirbelsäulenveränderungen degenerativer Art (z.B. Arthrosen, Spondylosen), entzündliche und nichtentzündliche Krankheiten der Weichteile sowie systemische Bindegewebs- und Gefäßerkrankungen (Kollagenosen, Vaskulitiden) und Manifestationen von Stoffwechselkrankheiten (z.B. Gicht).

(2) Entzündlich-rheumatische Krankheiten sind solche mit allgemeinen Zeichen akuter oder chronischer Entzündung und bestimmten pathologisch-anatomischen Veränderungen des Bindegewebes (insbesondere des Stützapparates und der Gelenke, auch der inneren Organe, Nerven und Gefäße).

Die Begutachtung muss der ätiologischen Verschiedenartigkeit (weitgehend bekannte oder Ungewisse Ätiologie) der entzündlich-rheumatischen Krankheiten Rechnung tragen, wobei der serologische Nachweis von großer Bedeutung sein kann.

a) Reaktive/postinfektiöse Arthritiden 

Das akute rheumatische Fieber ist eine sehr selten gewordene Zweitkrankheit, die nach Infektionen mit beta-hämolysierenden A-Streptokokken aufgrund einer besonderen Immunreaktion entsteht. Zu den typischen Erscheinungen gehören Entzündungen der Gelenke und des Herzens, selten auch des Zentralnervensystems. Meist ist eine Tonsillitis die Vorkrankheit. Wenn durch dienstliche Verhältnisse eine Streptokokkeninfektion aufgetreten ist oder die dienstlichen Umstände das Auftreten der rheumatischen Krankheit wesentlich begünstigt haben, ist diese Erkrankung als Schädigungsfolge anzusehen. Eine enge zeitliche Verbindung muss bestehen. Die Gelenkentzündungen heilen meist ab. Am Herzen können dagegen Folgen zurückbleiben, die manchmal erst nach Jahren erkennbar werden.

Bei Rezidiven sind neu mitwirkende Bedingungen in ihrer ursächlichen Bedeutung abzuwägen. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand des Rezidivs von der Ersterkrankung und bei Fehlen von Brückensymptomen wird ein Zusammenhang zwischen beiden zunehmend fraglich.

Andere akute, reaktive Arthritiden und Spondylarthritiden haben an Bedeutung zugenommen. Ursächlich kommen hier enterale, urogenitale und respiratorische Infekte durch bestimmte Bakterien (z.B. Yersinien, Salmonellen, Shigellen, Chlamydien) oder Viren (z.B. Coxsackie, Hepatitis, Röteln, HIV) in Betracht. Im allgemeinen heilen diese Arthritiden innerhalb von Monaten, spätestens in wenigen Jahren aus.

Zu den rheumatischen Manifestationen der Lyme-Borreliose siehe Nummer 54.37.

b) Die Reiter-Krankheit (Trias: Arthritis, Konjunktivitis, Urethritis) ist eine besondere Verlaufsform der reaktiven Arthritiden. Die Ätiopathogenese dieser Krankheit ist zum Teil noch ungeklärt.

Hinreichend geklärt ist nur die ursächliche Bedeutung von infektiösen Harnwegs- oder Darmerkrankungen - insbesondere durch Chlamydien, Shigellen oder Yersinien -. Sind solche Vorerkrankungen als Schädigungen nachgewiesen, kann die Beurteilung mit Wahrscheinlichkeit erfolgen.

Sonst ist eine Kannversorgung in Betracht zu ziehen, wobei im Hinblick auf die Art des Leidens die Bedeutung folgender Noxen als ungewiss anzusehen ist:

  1. Andere infektiöse und sonstige Krankheiten, die die Immunitätslage nachhaltig verändern,
  2. körperliche Belastungen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet sind, die Resistenz erheblich herabzusetzen.

Haben solche Umstände als Schädigungstatbestände vorgelegen, sind die Voraussetzungen für eine Kannversorgung als gegeben anzusehen, wenn auf die Manifestation des Leidens in einer zeitlichen Verbindung bis zu 6 Monaten danach begründet geschlossen werden kann.

Anmerkung

c) Die Spondylarthritiden, deren bekanntester Vertreter die Spondylitis ankylosans (Bechterew-Krankheit) ist, sind ebenfalls chronisch entzündliche Erkrankungen. Sie kommen ebenso als eigenständige Krankheiten wie als Zweitkrankheiten vor. Es ist dabei zu beachten, dass sowohl die Wirbelsäule als auch periphere Gelenke - manchmal (insbesondere bei Frühformen) auch nur periphere Gelenke - befallen sein können.

Anmerkung

Als Zweitkrankheit ist dieses Leiden bei der Reiter-Krankheit, bei bestimmten Enteropathien (Colitis ulcerosa, Crohn-Krankheit) und auch bei der Psoriasis bekannt. Die Beurteilung richtet sich in solchen Fällen nach der des Grundleidens.

Die Ätiopathogenese ist im übrigen weitgehend ungeklärt, so dass eine "Kannversorgung" in Betracht zu ziehen ist. Wissenschaftlich werden neben genetischen verschiedene exogene Faktoren diskutiert. Unter diesen Umständen ist auch die Bedeutung folgender Noxen ungewiss:

  1. Infektiöse oder andere Krankheiten, die die Immunitätslage nachhaltig verändern,
  2. körperliche Belastungen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet sind, die Resistenz erheblich herabzusetzen.

Haben solche Umstände als Schädigungstatbestände vorgelegen, sind die Voraussetzungen für eine Kannversorgung als gegeben anzusehen, wenn auf einen Beginn des Leidens in einer zeitlichen Verbindung bis zu 6 Monaten danach begründet geschlossen werden kann.

d) Die chronische Polyarthritis (cP, rheumatoide Arthritis) - früher als primär chronische Polyarthritis bezeichnet - stellt eine chronische Allgemeinerkrankung dar, bei der eine chronische abakterielle Gelenkentzündung im Vordergrund steht.

Die Ätiopathogenese der chronischen Polyarthritis ist noch weitgehend unbekannt. Es werden wissenschaftlich sowohl genetische als auch exogene Faktoren verschiedener Art diskutiert. Im Hinblick auf diese Ungewissheit ist auch die Bedeutung folgender Noxen ungewiss:

  1. Infektiöse oder andere Krankheiten, die die Immunitätslage nachhaltig verändern,
  2. körperliche Belastungen, die nach Art, Dauer und Schwere geeignet sind, die Resistenz erheblich herabzusetzen.

Haben solche Umstände als Schädigungstatbestände vorgelegen, sind die Voraussetzungen für eine Kannversorgung als gegeben anzusehen, wenn auf eine Manifestation des Leidens in einer zeitlichen Verbindung bis zu 6 Monaten danach begründet geschlossen werden kann.

Anmerkung

(3) Kollagenosen und Vaskulitiden kommen ebenso als eigenständige Krankheitsbilder wie auch als Zweitkrankheiten vor. Hinreichend geklärt ist nur die ursächliche Bedeutung einer persistierenden Hepatitis-B-Virus-Infektion bei der klassischen Panarteriitis. Eine Quarzstaubexposition kann eine Sklerodermie induzieren. Selten können bestimmte Medikamente (z.B. INH, Hydralazin, Methyldopa, Procainamid, D-Penicillamin) einen sogenannten medikamenten-induzierten Lupus erythematodes bedingen, der nach Absetzen des Medikamentes wieder verschwindet. Sind solche Schädigungen nachgewiesen, kann eine Beurteilung mit Wahrscheinlichkeit erfolgen. Sonst ist eine Kannversorgung in Betracht zu ziehen.

(4) Der Weichteilrheumatismus umfasst Schmerzzustände sehr unterschiedlicher, entzündlicher und nicht-entzündlicher Genese, wobei die generalisierte Tendomyopathie die wichtigste nicht-entzündliche Form darstellt. Soweit der Weichteilrheumatismus Begleiterscheinung eines anderen Leidens (z.B. Wirbelsäulenveränderungen) ist, kommt er als Schädigungsfolge in Betracht, wenn das Grundleiden Schädigungsfolge ist.

(5) Hinsichtlich der degenerativen Gelenkerkrankungen siehe Nummer 126.