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Befund - Nr. 8 AHP 2008

 

(1) Der Befund soll - gegebenenfalls unter Einbeziehung vorhandener Unterlagen - ein Gesamtbild des körperlichen und psychischen Zustandes des Untersuchten vermitteln.

(2) Die Befunderhebung soll den Allgemeinbefund (Alter, Größe, Gewicht, Allgemeinzustand, Puls, Blutdruck, Urinstatus) und einen ausführlichen Organbefund umfassen.

(3) Bei Kindern sind zur Feststellung der körperlichen und/oder geistigen Entwicklung entsprechende Untersuchungsverfahren anzuwenden; hierzu gehören insbesondere entwicklungsneurologische und -psychologische sowie endokrinologische Untersuchungen. Gegebenenfalls sind radiologische Befunde beizuziehen.

(4) Bei eingehenden Untersuchungen zu Krankheiten innerer Organe sollen eine Blutkörperchen-Senkungsreaktion, ein vollständiger Blutstatus und die spezifischen organbezogenen Laboruntersuchungen und Funktionsprüfungen nicht fehlen; bei Laborwerten sind Methode und Referenzbereich der untersuchenden Stelle anzugeben.

Daneben können - insbesondere bei Begutachtungen im sozialen Entschädigungsrecht - apparative Untersuchungen erforderlich sein:

  • Bei Lungenkrankheiten kommen in Betracht: Lungenfunktionsprüfungen in Ruhe, unter Belastung und unter Berücksichtigung des Medikamenten- und Hormonspiegels im Serum (z.B. Spirographie, Messung des Widerstandes der Atemwege, Blutgasanalyse, Provokations- und Reversibilitätsteste) sowie zusätzlich kardiopulmonale Untersuchungen (z.B. Druckmessung im kleinen Kreislauf in Ruhe und unter Belastung). Bei der Spirographie sind die unteren Sollwerte der EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) zugrunde zu legen, wobei in der Regel erst Abweichungen von den Sollwerten von über 20% klinisch relevant werden.

Anmerkung zu Teil B 8 VMG

  • Bei Herz- und Kreislaufschäden kommen in Betracht: Elektrokardiographie, Langzeitelektrokardiographie, Echokardiographie, Ergometrie, Blutdrucklangzeitmessung, Herzszintigraphie. Bei entsprechender Indikation auch Links- und/oder Rechtsherzkatheteruntersuchungen.
  • Bei Durchblutungsstörungen der Gliedmaßen darf nicht die Angabe über Hauttemperatur und -farbe, ob bläulich, rot oder blass, unterlassen werden. Puls und Blutdruck beiderseits sind stets zu vergleichen. Die schmerzfreie Strecke beim Gehen ist zu erfragen. Objektive Messmethoden sollen die klinische Untersuchung ergänzen (Ratschow-Lagerungsprobe, Doppler-Druckmessung, Belastungsdruckmessung, Laufbanduntersuchung, Phlebodynamometrie). Bei entsprechender Indikation auch Röntgenkontrastdarstellungen der Gefäße oder gleichwertige bildgebende Verfahren.
  • Bei Krankheiten der Bauchorgane sind häufig sonographische, endoskopische und auch bioptische Untersuchungen notwendig; insbesondere bei Leberkrankheiten ist bei sonst nicht klärbaren Fällen eine Biopsie anzustreben. In Einzelfällen können zusätzliche Untersuchungen (z.B. spezielle bildgebende Verfahren oder Funktionsuntersuchungen) und bei entsprechender Indikation auch Röntgenuntersuchungen erforderlich sein.
  • Bei Krankheiten der Harnorgane sind neben speziellen Nierenfunktionsprüfungen (z.B. Kreatininbestimmung, Clearance-Untersuchungen und weitere qualitative und quantitative Urinuntersuchungen) eine Sonographie, ggf. Urethrozystoskopie, urodynamische Untersuchungen, bei entsprechender Indikation nuklearmedizinische Methoden und Röntgenuntersuchungen angebracht; eine Nierenbiopsie soll nur besonderen Fällen vorbehalten bleiben.

(5) Bei gynäkologischen Krankheiten ist - insbesondere bei Begutachtungen im sozialen Entschädigungsrecht - eine fachärztliche Untersuchung mit Sonographie erforderlich, in Einzelfällen auch eine Laparoskopie.

(6) Zur Ermittlung von Art und Ausmaß dermatologischer und allergologischer Krankheiten ist im allgemeinen - insbesondere bei Begutachtungen im sozialen Entschädigungsrecht - eine dermatologische Untersuchung erforderlich. Hierbei ist eine ausführliche Beschreibung des Erscheinungsbildes, der Lokalisation und der Ausdehnung der Hautveränderungen notwendig. Gegebenenfalls sollten die Hautbefunde durch fotographische Aufnahmen, Figurenstempel oder Zeichnungen dokumentiert werden. Histologische, allergologische, immunologische, virologische, mykologische, bakteriologische und dermatoskopische Untersuchungen können zusätzlich erforderlich sein.

(7) Im sozialen Entschädigungsrecht sind bei Begutachtungen von Verletzungsfolgen alle Narben genau zu beschreiben. Stets ist hinzuzufügen, wodurch sie entstanden sind. Der Befund ist ggf. durch eine Skizze oder Fotodokumentation zu ergänzen. Immer ist zu prüfen, ob außer Weichteilen auch Knochen, Nerven, Gefäße oder innere Organe verletzt waren. Der Verlauf mancher Schusskanäle wird erst verständlich, wenn der Untersuchte die Körperhaltung angibt oder darstellt, welche er im Augenblick der Verletzung eingenommen hatte.

(8) Bei Entstellungen werden fotographische Aufnahmen empfohlen.

(9) Bei Zahnschäden ist ein genauer Zahnstatus mit exakter Angabe der festgestellten Veränderungen in ein Schema einzuzeichnen:

Zahnbild

Zu achten ist auf Narbenbildungen oder andere Veränderungen in den Weichteilen des Mundes oder an den Kiefern, vor allem bei angeblich traumatischem Zahnverlust.

(10) Bei Verlust oder Teilverlust von Gliedern ist eine genaue Beschreibung der Stumpfverhältnisse erforderlich. Die Angabe der Körperseite und der Stumpflänge mit Angabe der Messbezugspunkte darf nie vergessen werden. Der Befund soll Auskunft geben, wie die Funktion mit und ohne Hilfsmittel ist, bzw. warum ein Hilfsmittel nicht getragen werden kann.

(11) Bei Schäden an den Fingern ist anzugeben, was der Untersuchte greifen und halten kann, wobei Sensibilitätsstörungen von Bedeutung sein können. Auf Gebrauchsspuren ist zu achten. Bei den Fingern ist nicht vom 1., 2. und 3. Glied oder Gelenk zu sprechen, sondern vom Grund-, Mittel- und Endglied oder -gelenk. Für die Messung wird die Neutral-0-Methode empfohlen.

(12) Bei Schäden an den Beinen ist der Gang mit und ohne Schuh oder orthopädische Hilfsmittel zu beachten und die Art der Beschwielung der Fußsohlen zu untersuchen. Neben dem "normalen" Gangbild sind auch differenzierte Stand- und Gangformen zu prüfen (z.B. Ballen- und Fersenstand, Hockversuch, Grätschstand, Einbeinstand, wechselseitiges Hüpfen, Beinhaltung im Sitzen und im Liegen).

(13) Die Bewegungsfähigkeit der Gelenke ist anzugeben. Dabei soll nicht von Versteifung gesprochen werden, wenn nur eine Bewegungseinschränkung besteht. Immer muss auf eigentätige und fremdtätige, auf schmerzfreie und schmerzhafte Bewegungsfähigkeit - auch unter Belastung - untersucht werden.

Die Messungen an den Gliedmaßen sind stets beiderseits vorzunehmen; die Messstellen müssen auf feste Skelettpunkte bezogen und im Gutachten genau bezeichnet werden. Für die Messung wird die Neutral-0-Methode empfohlen. Für die Dokumentation sind nach Möglichkeit die vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften herausgegebenen Messblätter zu verwenden.

Anmerkung

(14) Form und Beweglichkeit der Wirbelsäule und ggf. die Art und Nutzung von Hilfsmitteln sind eingehend zu beschreiben. Zusätzlich werden die Anwendung von Messverfahren mit genauer Angabe der Messpunkte, z.B. Finger-Boden-Abstand, Kinn-Sternum-Abstand, Messbandstreckenverfahren nach Schober (Veränderung der im Stehen markierten Messstrecke vom ersten Sakralwirbel bis 10 cm oberhalb bei maximaler Beugung) und nach Ott (Veränderung der im Stehen markierten Messstrecke vom 7. Halswirbel bis 30 cm unterhalb bei maximaler Beugung) sowie segmentale Untersuchungen empfohlen.

Anmerkung

Auf die kritische Stellungnahme des Dr. Ammermann wird verwiesen.

(15) Für die Beurteilung der Sehbehinderung ist in erster Linie die korrigierte Sehschärfe (Prüfung mit Gläsern) maßgebend. Die Sehschärfe ist grundsätzlich nach DIN 58220 zu prüfen, in Ausnahmefällen (z.B. bei Bettlägerigkeit oder Kleinkindern) ist analog zu verfahren. Die übrigen Partialfunktionen des Sehvermögens sind nur mit Geräten und Methoden zu prüfen, die den Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) entsprechend eine einwandfreie gutachtliche Beurteilung erlauben. Bei der Gesichtsfeldbestimmung dürfen nur Ergebnisse der manuell-kinetischen Perimetrie entsprechend der Marke Goldmann III/4 verwertet werden.

Anmerkung

Die Feststellung von Blindheit setzt einen Befund voraus, der aufgrund einer speziellen augenärztlichen Untersuchung unter Begutachtungsgrundsätzen erhoben worden ist.

(16) Bei Hörschäden sind spezielle Hörprüfungen notwendig, insbesondere Prüfung der Hörschwelle im Tonaudiogramm und des Sprachhörverlustes nach dem Sprachaudiogramm. Der prozentuale Hörverlust ist in erster Linie nach dem Sprachaudiogramm, in Ausnahmefällen nach dem Tonaudiogramm zu ermitteln (4-Frequenztabelle nach Röser 1973, bei Hochtonverlusten [Typ Lärmschwerhörigkeit] 3-Frequenztabelle nach Röser 1980 [siehe auch Nummer 26.5 - jetzt Teil B 5.2.3 - ]. Bei der Beurteilung von Zusammenhangsfragen können ergänzende Untersuchungen, z.B. überschwellige Messungen, impedanzaudiometrische Untersuchungen, ggf. auch Ableitung evozierter Potentiale und/oder otoakustischer Emissionen, erforderlich sein.

Bei Ohrgeräuschen (Tinnitus) sind audiometrische Analysen notwendig. Bestehen wesentliche psychovegetative Begleiterscheinungen, ist eine psychiatrische Zusatzuntersuchung angezeigt.

(17) Bei Gleichgewichtsstörungen ist eine vestibulometrische Prüfung erforderlich. Für die GdB/MdE-Bewertung sind neben einer ausführlichen Beschwerdeschilderung Geh- und Stehversuche in ansteigender Belastungsstufe (Romberg, Unterberger, Tandem-Romberg mit geschlossenen Augen, Seiltänzergang mit geschlossenen Augen) von besonderer Bedeutung.

(18) Bei Geruchs- und Geschmacksstörungen sind entsprechende Funktionsprüfungen durchzuführen.

(19) Stimm-, Sprech- und Sprachstörungen bedürfen oft einer speziellen phoniatrischen, ggf. auch einer neurolinguistischen Untersuchung.

(20) Geistige und seelische Störungen erfordern häufig - bei Erstbegutachtungen im sozialen Entschädigungsrecht in jedem Fall - eine spezielle psychiatrische, im Kindesalter eine entsprechende neuropädiatrische und/oder kinderpsychiatrische Untersuchung. Außer einer neurologischen und psychiatrischen Untersuchung, die oft über die allgemeine Vorgeschichte hinaus eine zeitaufwendige biographische Anamneseerhebung einschließen muss, ist häufig zusätzlich eine gutachtenrelevante leistungspsychologische Untersuchung einschließlich Persönlichkeitsdiagnostik angezeigt. Bei der Begutachtung der psychischen Folgen von Hirnschäden gilt im Grundsatz das Gleiche.

Nach traumatischen oder anderen Hirnschädigungen wird in manchen Fällen eine stationäre Beobachtung erforderlich sein; dies gilt insbesondere, wenn Anfälle geltend gemacht werden, die nach ihrem Erscheinungsbild ätiologisch und differentialdiagnostisch keine eindeutige Zuordnung erlauben.

Als Zusatzuntersuchungen kommen Elektroenzephalographie, Dopplersonographie, Kernspintomographie (syn. Magnetresonanztomographie), Szintigraphie, und die Ableitung evozierter Potentiale in Betracht. Bei entsprechender Indikation können auch computertomographische und hirnarteriographische Untersuchungen erforderlich sein. Gegebenenfalls sind weitere Untersuchungen, z.B. durch Hals-Nasen-Ohren- oder Augenärzte durchzuführen.

Folgen von Schädigungen des Stirnhirns, Schläfenhirns oder Scheitelhirns sind mitunter schwer zu erfassen. Sie bedürfen besonders eingehender Untersuchungen.

Ist nach Vorgeschichte und Befund ein Hirnschaden gesichert, so hat der Gutachter dies bei seiner Beurteilung nach dem sozialen Entschädigungsrecht ausdrücklich zu vermerken.

(21) Zur Ermittlung von Art und Ausmaß peripherer Nervenschädigungen und von Muskelkrankheiten ist im allgemeinen - insbesondere bei Erstbegutachtungen im sozialen Entschädigungsrecht - eine neurologische Untersuchung notwendig, häufig unter Einbeziehung elektrophysiologischer Methoden, manchmal auch bildgebender Verfahren.

(22) Die Röntgenverordnung ist zu beachten. Das Röntgenverfahren soll zur Vermeidung unnötiger Strahlenbelastung mit Kritik angewandt werden. Das bedeutet, dass zunächst Röntgenbefunde anderer Stellen beizuziehen und mitzuverwerten sind. Für die Durchführung jeder Röntgenuntersuchung ist eine ärztliche Indikation geboten; d.h. solche Untersuchungen kommen nur dann in Betracht, wenn mit anderen, weniger belastenden Untersuchungsmethoden (z.B. Ultraschall) die notwendige Klärung nicht erreicht werden kann.

 

Schillings / Wendler 05/2009