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Nr. 108 AHP 2008 - Erkrankungen der Leber, der Gallenwege und der Bauchspeicheldrüse

 

(1) Schäden der Leber können sehr verschiedene Ursachen haben. Besonders zu nennen sind: Chronischer Alkoholkonsum, Leberentzündungen, langdauernde Störungen in den Gallenwegen, Stoffwechselstörungen, bestimmte Arzneimittel sowie Intoxikationen. Schäden der Leber können außerdem als Begleiterscheinungen verschiedener akuter und chronischer Erkrankungen und infolge der Summation von schädigenden Einwirkungen unter extremen Lebensverhältnissen (siehe Nummer 139) auftreten.

(2) Die akute Hepatitis kommt als eigenständige Virushepatitis und als Begleiterscheinung von vielen Infektionskrankheiten, aber auch aufgrund bestimmter Medikamente vor. Zu den verschiedenen Formen der Virushepatitis und zu ihrer Differenzierung wird auf die Nummer 54 verwiesen.

Die akute Hepatitis kann anikterisch verlaufen.

Während die Hepatitis A und E nicht chronisch verlaufen, muss bei der Hepatitis B und insbesondere bei der Hepatitis C und D mit Komplikationen und Folgezuständen gerechnet werden: fulminante Hepatitis (akutes Leberversagen), chronische Hepatitis, Leberzirrhose, primäres Leberzellkarzinom, selten auch aplastische oder hämolytische Anämien, Splenomegalie.

Chronische Verläufe nach Infektion mit Hepatitis-C-Virus sind nach Verabreichung von kontaminierten Blutprodukten, z. B. im Rahmen der Anti-D-Prophylaxe, beobachtet worden.

Anmerkung

(3) Bei der chronischen Hepatitis werden je nach Ätiologie, Morphologie, Verlauf und klinischem Befund vor allem Virushepatitis, Autoimmunhepatitis, Arzneimittelhepatitis und kryptogene Hepatitis unterschieden.

Voraussetzung für eine sachgerechte Beurteilung ist die Klärung der Ursache. Dies erfordert neben klinischen und laborchemischen Parametern - auch im Hinblick auf Diagnose und Differentialdiagnose - einen histopathologischen Befund der Leber.

Die chronische Virushepatitis wird auch "replizierende chronische Hepatitis" genannt; die früheren Bezeichnungen "ohne/mit Progression" werden nicht mehr verwandt.

Der Verlauf wird von der klinisch-entzündlichen Aktivität, dem histologischen Grad der nekro-inflammatorischen Aktivität (Grading) und dem Stadium der Fibrose (Staging) bestimmt. Er kann über viele Jahre gleich bleibend sein, aber auch spontan ohne oder mit "Restfibrose" ausheilen oder aber auch mit einer zunehmenden Fibrose in eine Leberzirrhose übergehen. Noch nach Jahrzehnten kann sich ein Leberzellkarzinom entwickeln.

Als extrahepatische Manifestationen kommen vor allem Kryoglobulinämie, Glomerulonephritis, Arthritis und Vaskulitis in Betracht.

Wenn bei einer chronischen Virushepatitis der Zusammenhang mit einer früher durchgemachten akuten Hepatitis zu beurteilen ist, muss berücksichtigt werden, dass chronische Hepatitiden in der Regel nicht über viele Jahre ganz symptomlos verlaufen. Die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs einer chronischen Hepatitis mit einer vor Jahren durchgemachten akuten Hepatitis ist wahrscheinlich, wenn

  1. serologisch eine Infektion mit Hepatitis-B- oder C-Viren nachgewiesen ist,
  2. weder aus dem immunologischen Bild noch aus anderen Umständen begründet auf eine schädigungsunabhängige Entwicklung geschlossen werden kann und
  3. in den Jahren nach Einwirkung des schädigenden Ereignisses für eine chronische Hepatitis sprechende Brückensymptome nachgewiesen sind.

Je größer der zeitliche Abstand zwischen der akuten Hepatitis und der klinischen Manifestation der chronischen Hepatitis ist, um so eher muss damit gerechnet werden, dass schädigungsunabhängige Noxen (z.B. Übergewicht, Alkohol) eine ursächlichen Bedeutung erlangt haben. Es ist zu beachten, dass Verläufe einer chronischen Hepatitis von zwei Jahrzehnten und mehr vorkommen.

Die Autoimmunhepatitis wird durch den Nachweis bestimmter Autoantikörper bei Fehlen der Virusmarker diagnostiziert. Ihre Ursache ist ungeklärt, eine Kannversorgung kommt in Betracht. Die Autoimmunhepatitis ist von der klinisch-morphologisch ähnlichen Arzneimittelhepatitis (z.B. durch Methyldopa, Nitrofurantoin, Minocyclin, Isoniazid, Sulfonamide, Halothan) abzugrenzen.

(4) Die Leberzirrhose ist das Spätstadium chronisch-entzündlicher Vorgänge in der Leber, das sich aufgrund fast aller in Absatz 1 genannten Noxen über verschiedene morphologische Bilder entwickeln kann. Bei der fortgeschrittenen Leberzirrhose ist die primäre Schädigung aus dem morphologischen Befund oft nicht mehr erkennbar. Klinisch kann die Aktivität der Zirrhose unterschiedlich sein.

Wenn sich die Entwicklung der Leberzirrhose lückenlos bis zur primären Schädigung zurückverfolgen lässt, bereitet die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs keine Schwierigkeiten. Wird dagegen eine Leberzirrhose erst in einem Spätstadium entdeckt, so muss sehr sorgfältig geprüft werden, welche Noxen in Betracht kommen. Die Leberzirrhose kann dann aber auch noch ohne Nachweis von Brückensymptomen als Schädigungsfolge angesehen werden, wenn

  1. eine relevante Hepatitis oder extreme Lebensverhältnisse mit einer Schädigung der Leber durch eine Infektionskrankheit vorgelegen haben und
  2. weder aus dem morphologischen und immunologischen Bild noch aus anderen Umständen begründet auf eine schädigungsunabhängige Entwicklung geschlossen werden kann.

(5) Die Fettleber kommt vor allem bei chronischem Alkoholkonsum, Überernährung, Diabetes mellitus, Hyperlipidämien vor. Sie ist nicht die Folge einer Hepatitis oder von Jahre zurückliegenden Gefangenschaftseinnüssen. Die Fettleber in unkomplizierter Form bildet sich nach Wegfall der Noxe immer zurück.

(6) Voraussetzung für eine zutreffende Beurteilung ist eine klare Diagnose. Angaben über Erkrankungen, die zu Leberschäden führen können, sollten den Gutachter stets veranlassen, gezielte Untersuchungen vorzunehmen, da Leberschäden sich über längere Zeit unbemerkt oder uncharakteristisch entwickeln können.

(7) Entzündungen der Gallenwege entstehen bei Abflussstörungen in den Gallengängen. Die daraus hervorgehenden Krankheitsbilder, die sich mit immer wieder auftretenden Rezidiven über viele Jahre hinziehen können, sind entsprechend dem Grundleiden ggf. als Schädigungsfolge anzusehen. Sekundär kann es bei Erkrankungen der Gallenwege zu Leberschädigungen kommen.

Die primäre biliäre Zirrhose und die primär sklerosierende Cholangitis sind Erkrankungen der Gallenwege unbekannter Ursache; Autoimmunprozesse werden diskutiert. Eine Kannversorgung ist in Betracht zu ziehen.

(8) Die Steinbildung in den Gallenwegen beruht in der Regel auf endogenen Faktoren, die für die Zusammensetzung der Gallenflüssigkeit und damit für die Ausfällung von Konkrementen von Bedeutung sind. Es können aber auch hämolytische Anämien sowie Abflussstörungen der Gallenwege (Cholestase) eine Rolle spielen. Eine Steinbildung, die sich nachweisbar an eine derartige schädigungsbedingte Leber- oder Gallenwegserkrankung anschließt, ist als Schädigungsfolge anzusehen.

(9) Steckschüsse innerhalb des Lebergewebes oder Durchschüsse durch die Leber heilen meistens ohne wesentliche Funktionsstörungen aus. Wenn größere Gefäße oder größere Gallengänge betroffen sind, können sich Funktionsstörungen einstellen.

(10) Die Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse können als Folge von Erkrankungen im Oberbauch (z.B. Verlegung der Gallengangsmündung), durch Alkoholkonsum oder auch als Folge von Infektionskrankheiten auftreten. Gewalteinwirkungen auf den Oberbauch führen nur in seltenen Fällen zu anhaltenden Schäden der Bauchspeicheldrüse.

Über die Zuckerkrankheit siehe Nummer 120.