Ausgabe    2/2013 

März vom 03.03.2013 

Druckversion der Zeitung (pdf-Format ohne weiterführende Links).

     Informationen

Fünfte Verordnung zur Änderung der    Versorgungsmedizin-Verordnung

     Themen

Kommentar zum SchwBG

     Rechtsprechung

Schwerbehindertenrecht

Soziales Entschädigungsrecht

Vertragsarztrecht

Verfahrensrecht

Unfallversicherung

Krankenversicherung

Sachverständigenvergütung

Anwaltshonorar

Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II

Sozialhilfe SGB XII

     Buchrezension

     Service

Herausgeber und verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes Dorothea Strake
Schulstr. 90, 41372 Niederkrüchten

 erscheint alle 2 Monate


Liebe Leser,

diese Seite wird sich in Kürze verändern. Wir arbeiten daran, Ihnen wichtige Informationen aus dem Sozialrecht noch schneller und direkter zukommen zu lassen. Daher wird es diese Zeitung demnächst auch als App für Ihr Smartphone oder Tablet geben und zwar jede Woche neu. Dazu beabsichtigen wir, mehrere Diskussionsforen einzurichten, in denen sich Anwälte einerseits und Sachverständige andererseits austauschen können. Wenn Sie also bei Ihrer Arbeit auf ein Problem stoßen, können Sie sich zukünftig hier mit Berufskollegen unterhalten oder aber als Anwalt z. B. schon einmal mit einem potentiellen Gutachter die Erfolgsaussichten eines Gutachtens nach § 109 SGG erörtern. Mitte des Jahres sollten diese Neuerungen abrufbar sein. 

Ihr Team von "Sozialrecht Online" und uwendler.de


Informationen

Bundesgesetzblatt Jahrgang 2012 Teil I Nr. 47, ausgegeben zu Bonn am 16. Oktober 2012           S. 2122
(BGBl. I S. 2122 (Nr. 47); Geltung ab 17.10.2012)

Fünfte Verordnung zur Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung - vom 11. Oktober  2012

Auf Grund des § 30 Absatz 16 des Bundesversorgungsgesetzes, der zuletzt durch Artikel 1 Nummer 16 Buchstabe f des Gesetzes vom 20. Juni 2011 (BGBl. I S. 1114) geändert worden ist, verordnet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung:

Artikel 1 Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung
Nummer 16.6 des Teils B der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412), die zuletzt durch Artikel 1 der Verordnung vom 28. Oktober 2011 (BGBl. I S. 2153) geändert worden ist, wird wie folgt gefasst:

"16.6 Akute Leukämien
Im ersten Jahr nach Diagnosestellung (Erstdiagnose oder Rezidiv; insbesondere während der Induktionstherapie, Konsolidierungstherapie, Erhaltungstherapie) beträgt der GdS 100.
Nach dem ersten Jahr
- bei unvollständiger klinischer Remission: Der GdS beträgt weiterhin 100,
- bei kompletter klinischer Remission unabhängig von der durchgeführten Therapie: Der GdS beträgt 80 für die Dauer von drei Jahren (Heilungsbewährung).

Danach ist der GdS nach den verbliebenen Auswirkungen (insbesondere chronische Müdigkeit, Sterilität, Neuropathien, Beeinträchtigung der Entwicklung- und kognitiver Funktionen) zu bewerten."

Artikel 2 Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

Der Bundesrat hat zugestimmt.
Berlin, den 11. Oktober 2012
Die Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Ursula von der Leyen

Begründung
A. Allgemeiner Teil
Die in der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" sind auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin fortzuentwickeln. Der zuständige Ärztliche Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin hat eine Anpassung der Anlage an den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und versorgungsmedizinischer Erfordernisse empfohlen.
Mit zusätzlichen Kosten ist nicht zu rechnen, da es sich ausschließlich um Anpassungen an den aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft handelt.
Die vorgesehenen Änderungen entsprechen dem Grundsatz der Nachhaltigkeit im Bereich sozialer Zusammenhalt, da durch die Anpassung der Begutachtungsgrundsätze die gerechte Vergabe der Nachteilsausgleiche und somit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen und politischen Leben ermöglicht wird.

B. Besonderer Teil
Zu Artikel 1
Begründung: 
Dadurch, dass sich neue Therapieschemata in der Behandlung der akuten Leukämie etabliert haben, ergibt sich die Notwendigkeit, neben der Aufnahme der heute verwendeten Begriffe "Induktionstherapie", "Konsolidierungstherapie" und "Erhaltungstherapie" den Beginn der sogenannten Heilungsbewährung genau festzulegen. Die Beeinträchtigung der Teilhabe in der Zeit der Heilungsbewährung ist bei akuten Leukämien nicht niedriger zu bewerten als bei den hochmalignen Non-Hodgkin-Lymphomen. Demzufolge wird die Nummer 16.6 des Teils B der Anlage zur Verordnung entsprechend angepasst.
Zu Artikel 2
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

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Themen

Kommentar zum SchwBG 

Beim Studium des Kommentars bin ich auf eine Feststellung gestoßen, die zumindest überdacht werden muss. Es handelt sich um den Behinderungsumfang der Hüftendoprothese. Hier ist im Hinblick auf die vielfach gute Funktionsfähigkeit der Hüftendoprothese ein Behinderungsgrad von GdB 10 als ausreichend angesehen worden.

Zweifellos ist es so, dass sich die Behinderungsbreiten der künstlichen Hüftgelenke in den vergangenen Jahren erheblich verbessert haben, auch ist die Standzeit der Hüftendoprothen erheblich verlängert worden. Es ist jedoch zu bedenken, das sich der mit einer Endoprothese versorgte Behinderte wegen der Endoprothese (hier Hüfte) Prothesen-gerecht verhalten muss. Das Prothesen-gerechte Verhalten weicht oftmals von der guten, ja optimalen Funktionsbreite der Hüftendoprothese ab. Dies bedeutet, dass der betroffene Patien insoweit an der Teilhabe behindert wird, als ihm im Erwerbsleben nicht wenige Möglichkeiten wegen der Endoprothese verschlossen bleiben. Dies sind alle Belastungen, die ein Risiko für die Endoprothese bedeuten. Schließlich kann auch ein so betroffener Patient nicht mehr an allen sportlichen Aktivitäten teilnehmen trotz der guten Funktionsbreite des Hüftgelenkes. Er muss sich also Endoprothesen-gerecht verhalten. Der Umfang der so ausgelösten Behinderung ist aus meiner Sicht so gravierend, dass mit einem GdB von 10 diesem Umstand nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Bei sonst unkomplizierter Funktion einer Endoprothese halte ich es für angemessen, den Behinderungsumfang einer Hüft-TEP zumindest mit einem GdB von 20 anzusetzen. Ein GdB von 10 würde den Verhältnissen eines betroffenen Patienten aus meiner Sicht nicht gerecht.

Ich komme zu dieser Einschätzung nicht zuletzt aufgrund der umfangreichen Erfahrung in der Nachbehandlung von endoprothetischen Versorgungen in der täglichen orthopädischen Praxis.

Dr.med. U. Ammerman, Orthopäde, Düsseldorf   

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Rechtsprechung

Schwerbehindertenrecht

Ein GdB von 50 für einen Diabetes Mellitus setzt mindestens vier Insulininjektionen pro Tag, ein selbständiges Anpassen der Insulindosis und erhebliche Einschnitte in der Lebensführung voraus

Bundessozialgericht - B 9 SB 2/12 R - Urteil vom 25.10.2012

Ein GdB von 50 für einen Diabetes Mellitus ist nicht gerechtfertigt, wenn der Betroffene eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführt, selbst wenn die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbstständig variiert werden muss. Vielmehr muss der Betroffene zudem auch krankheitsbedingt erheblich in der Lebensführung beeinträchtigt sein  (Vorinstanz Landessozialgericht Sachsen-Anhalt - L 7 SB 20/11 - Urteil vom 21.02.2012 in Sozialrecht Online, Ausgabe 3/2012).

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"RF" aufgrund Zusammenwirkens der Auswirkungen verschiedenster Gesundheitsstörungen

Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 3 SB 3862/12 - Urteil vom 16.01.2013

Auch wenn unterschiedliche Beeinträchtigungen wie z.B. entzündliche Darmerkrankung, partielle Stuhlinkontinenz, Immunschwäche und Phobie jeweils für sich nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Nachteilsausgleichs "RF" erfüllen, können diese jedoch im ihrem Zusammenwirken dem behinderten Menschen eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen unzumutbar machen. Das gilt auch, wenn der behinderte Mensch nicht physisch in einer Weise an das Haus gebunden ist, wie dies das BSG in seinem Urteil vom 09.08.1995 gefordert hat.

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Kein regelhafter Anspruch auf mehrere Gutachten nach § 109 SGG bei auf verschiedenen Fachgebieten liegenden Gesundheitsstörungen

Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 6 SB 5779/10 - Urteil vom 13.12.2012

  1. Ein Anspruch auf ein Gutachten nach § 109 SGG besteht grundsätzlich nur einmal in beiden Tatsacheninstanzen. Etwas anderes kann gelten, wenn für einzelne Gesundheitsstörungen mehrere Facharztgruppen zuständig sind und ein Spezialist auf einem Fachgebiet gehört werden soll, dem der zuerst gehörte Gutachter nicht angehört. Solche besonderen Umstände liegen allerdings nicht vor, wenn es wie z.B. bei Streit um das Merkzeichen "G" nicht um die jeweilige Diagnose, sondern um die aus den Gesundheitsstörungen resultierenden Funktionseinschränkungen geht und sich bereits ein Facharzt zu den durch die Erkrankung bedingten Auswirkungen auf die Gehfähigkeit geäußert hat.
  2. Die funktionelle Auswirkungen einer Adipositas mit Grad I (Body-Mass-Index <BMI> der Klägerin von 34,93 kg/m²) führen in der Regel nicht zu einer Verstärkung der bereits aufgrund anderer Gesundheitsstörungen bestehenden Einschränkung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.

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Kein GdB nach Tod

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 11 SB 99/11 ZVW - Urteil vom 17.01.2013

Ein Anspruch auf Feststellung eines GdB erlischt mit dem Tod des Anspruchsinhabers und kann weder durch Erbrecht noch durch sozialrechtliche Sondervorschriften auf eine andere Person übergehen.

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Zur Aufklärung medizinischer Sachverhalte sind Sachverständigengutachten einzuholen

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 13 SB 113/12 - Urteil vom 22.11.2012

In einem - wie dem Schwerbehindertenrecht - medizinisch geprägtem Sachgebiet darf sich ein Gericht mangels entsprechender medizinischer Fachkenntnisse nicht allein auf die aktenkundigen ärztlichen Unterlagen und die dazu nach Aktenlage ergangenen versorgungsärztlichen Stellungnahmen stützen. Die Auswertung eingeholter Befundberichte der behandelnden Ärzte genügt im Regelfall nicht, um den Erfordernissen der Amtsermittlung gerecht zu werden. Zur Aufklärung eines Sachverhalts in medizinischer Hinsicht bedarf es vielmehr regelmäßig der Einholung eines Sachverständigengutachtens oder, wenn mehrere Fachgebiete betroffen sind, mehrer Sachverständigengutachten.

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Soziales Entschädigungsrecht 

Mit einer Scheinwaffe ausgeübte Drohung mit Gewalt ist tätlicher Angriff i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG

Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 6 VG 2210/12 - Urteil vom 13.12.2012

Bedroht ein Täter bei einem Banküberfall die Bankangestellten "nur" mit einer täuschend echt aussehende Attrappe einer Pistole, die aus der Sicht eines vernünftigen Dritten als einsatzfähige Schusswaffe angesehen worden wäre, steht die tatsächliche Ungefährlichkeit der Scheinwaffe der Annahme eines tätlichen Angriffs i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG nicht entgegen.

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Voraussetzungen für eine Kann-Versorgung

Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 6 VJ 1702/12 - Urteil vom 13.12.2012

Voraussetzung für eine Kann-Versorgung ist, dass über die Ätiologie und Pathogenese des als Schädigungsfolge geltend gemachten Leidens keine durch Forschung und Erfahrung genügend gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Auffassung herrscht und entsprechend die ursächliche Bedeutung von Schädigungstatbeständen für die Entstehung oder den Verlauf des Leidens nicht mit Wahrscheinlichkeit beurteilt werden kann. In diesen Fällen ist Kann-Versorgung zu gewähren, wenn ein ursächlicher Einfluss des geltend gemachten schädigenden Tatbestandes in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als theoretisch begründet in Erwägung gezogen wird. Dabei reicht die allein theoretische Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs nicht aus. Es genügt nicht, wenn ein Arzt oder auch mehrere Ärzte einen Ursachenzusammenhang nur behaupten. Vielmehr ist es erforderlich, dass diese Behauptung medizinisch-biologisch nachvollziehbar begründet und durch wissenschaftliche Fakten, in der Regel statistische Erhebungen untermauert ist. Die Fakten müssen - in Abgrenzung zu den Voraussetzungen der Pflichtversorgung - zwar (noch) nicht so beschaffen sein, dass sie bereits die überwiegende medizinische Fachwelt überzeugen. Die niedrigere Schwelle zur Kann-Versorgung ist daher bereits dann überschritten, wenn die vorgelegte Begründung einschließlich der diese belegenden Fakten mehr als die einfache Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs belegt und damit zumindest einen eingeschränkten Personenkreis der Fachmediziner überzeugt ("Mindermeinung"). In seiner ständigen Rechtsprechung hat das BSG diesen Maßstab auf die "gute Möglichkeit" eingeschränkt.

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Eine Berufsunfähigkeits-Zusatzrente ist bei bei der Berechnung des Berufsschadensausgleich zu berücksichtigen

Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 6 VK 1701/12 - Urteil vom 13.12.2012

Bei der Berechnung des Berufsschadensausgleich ist eine private Berufsunfähigkeits-Zusatzrente, deren Beiträge vom Arbeitgeber aus dem Weihnachtsgeld gezahlt werden, als Einkommen nach § 9 Abs. 2 Nr. 1 BSchAV a.F. zu berücksichtigen. Der erforderliche Zusammenhang mit der früheren Erwerbstätigkeit besteht darin, dass der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer zur Prämienzahlung verpflichtet und der Arbeitnehmer der Begünstigte ist.

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Vertragsarztrecht

Wohlverhalten zukünftig in Zulassungsentziehungsverfahren ohne Belang

Bundessozialgericht - B 6 KA 49/11 R - Urteil vom 17.10.2012

Bei nicht vollzogenen Zulassungsentziehungen war nach der Rechtsprechung des BSG bisher das "Wohlverhalten" des Vertragesarztes während des Verfahrens über die Entziehung zu berücksichtigen. So konnte z.B. eine zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsausschusses rechtmäßige Zulassungsentziehung durch nachfolgendes "Wohlverhalten" des klagenden Arztes während des ggf. mehrere Instanzen umfassenden Gerichtsverfahrens unverhältnismäßig werden. Zukünftig können jedoch nach der Entscheidung des Berufungsausschusses liegende Umstände wie z.B. ein "Wohlverhalten" nur noch in dem Verfahren auf Wiederzulassung Berücksichtigung finden.

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Verfahrensrecht

Zum Umfang des Auskunftsanspruchs nach § 83 SGB X

Bundessozialgericht - B 1 KR 13/12 R - Urteil vom 13.11.2012

Es spricht viel dafür, dass der Auskunftsanspruch nach § 83 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Nr. 1 SGB X nicht nur die Auskunft darüber umfasst, ob und ggf. welche der über den Ersuchenden gespeicherten Sozialdaten an welche Empfänger weitergegeben wurden. Über den Wortlaut der Regelung hinaus dürfte auch die Auskunft über das Übermittlungsmedium einzubeziehen sein, wenn dies erforderlich ist, um insbesondere Rechte auf künftiges Unterlassen, Löschung und Schadensersatz verfolgen zu können, wenn nämlich der Übermittlungsweg den Zugriff unberechtigter Dritter eröffnet.

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Zur Sachverhaltsaufklärungspflicht der Gerichte

Bundessozialgericht - B 8 SO 4/11 R - Urteil vom 20.09.2012

Die Erklärung der Beteiligten, dass sie übereinstimmend von einem bestimmten Sachverhalt ausgehen, suspendiert die Amtsermittlungspflicht des Gerichts nicht (vgl. § 103 Abs. 2 SGG); sie entbindet allenfalls Behörden und Gerichte, Tatsachen zu ermitteln, für deren Bestehen weder das Beteiligtenvorbringen noch sonstige Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte liefern. Erklärungen der Beteiligten in einem "Teilvergleich", dass die tatsächlichen Grundlagen des Rechtsstreits aus ihrer Sicht geklärt seien, beeinflussen also nur die Amtsermittlung des Gerichts. Wenn die Annahme naheliegt, dass weitere oder abweichende Tatsachen für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sind, muss es nach § 103 SGG in eine weitere Ermittlung des tatsächlichen Streitstoffs einsteigen.

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Prozessunfähigkeit des Klägers unerheblich bei Aussichtslosigkeit in der Sache

Bundessozialgericht - B 8 SO 22/10 R - Urteil vom 15.11.2012

Zwar führt eine nicht ordnungsgemäße Vertretung zum Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes nach § 202 SGG i.V.m. § 547 Nr. 4 Zivilprozessordnung, der grundsätzlich keine Bestätigung des angefochtenen Urteils zulässt. Von diesem Grundsatz ist aber dann eine Ausnahme zu machen, wenn trotz des Verfahrensverstoßes ein Erfolg in der Sache ausgeschlossen ist, weil auch unter Einbeziehung des Revisionsvorbringens die Klage unter keinem denkbaren Gesichtspunkt Erfolg haben kann.

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Zur Anerkennung einer Halswirbelsäulenerkrankung als Unfallfolge

Bundessozialgericht - B 2 U 9/11 R - Urteil vom 24.07.2012

Soweit ein nicht allgemeinkundiges oder gerichtsbekanntes Erfahrungswissen Gegenstand einer staatlich anerkannten Wissenschaft, hilfsweise einer sonstigen fachkundigen Profession, ist, muss das Gericht, sofern es keine nachweisbare eigene Fachkompetenz oder Gerichtskenntnis auf diesem Gebiet hat, aufgrund der Ermessensreduktion im Rahmen seiner Sachaufklärung nach § 103 SGG sich die erforderliche Kenntnis durch Sachverständige verschaffen. Es ist gerade Aufgabe der Sachverständigen, dem Richter den aktuellen anerkannten Stand des Wissens darüber zu vermitteln, ob es Erfahrungssätze über Ursache-Wirkung-Beziehungen der fraglichen Art gibt und ggf. welche Anwendungsbedingungen für die Anwendung dieser Sätze im Einzelfall erfüllt sein müssen. Soweit auch die Anwendung der Erfahrungssätze im Einzelfall, wie häufig, ebenfalls besondere Sachkunde erfordert, kann der Sachverständige auch damit beauftragt werden.

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Regelmäßige Versicherten-Zuzahlung zu Fahrtkosten auch bei Serienbehandlung

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 5 KR 180/12 - Urteil vom 17.01.2013

Zwar sind im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung Fahrkosten zu ambulanten Behandlungen von den Gesetzlichen Krankenkassen zu übernehmen; der Versicherte hat aber einen Eigenanteil (Zuzahlung i.H.v. 5,00 €) zu tragen. Das gilt auch bei mehrmals erforderlich werdenden ambulanten Behandlungsterminen innerhalb eines Leistungsfalls, z.B. bei einer ambulanten Serienbehandlung. Das Gesetz enthält keine Regelung, dass die Eigenbeteiligung der Versicherten auf die erste und letzte Fahrt beschränkt ist.

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Das Verschulden eines gesetzlichen Betreuers ist dem Betreuten zuzurechnen

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 16 KR 561/11 - Urteil vom 20.12.2012

Werden Fristen (hier zur Erklärung des Beitritts zur freiwilligen Krankenversicherung) versäumt, kommt grundsätzlich eine Wiedereinsetzung in Betracht. Voraussetzung ist allerdings, dass der Betroffene ohne Verschulden gehindert gewesen ist, die Frist einzuhalten. Dabei ist dem Betroffenen nach § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB X auch ein Verschulden seiner gesetzlichen Betreuerin wie eigenes Verschulden zuzurechnen. Damit ist der Aufgabenbereich einer wirksam bestellten Betreuerin, deren Aufgabenbereich die "Gesundheitsfürsorge" umfasst, keineswegs überspannt.

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Kein Abwälzen der Verantwortung auf Sekretärin

Bayerisches Landessozialgericht - L 2 SB 87/12 B - Beschluss vom 02.01.2013

Voraussetzung für die Verhängung von Ordnungsgeld gegen den Gutachter ist, dass der Sachverständige schuldhaft eine Frist zur Erstellung des Gutachtens versäumt hat. Eine hinreichende Entschuldigung setzt voraus, dass trotz gebotener Sorgfalt die Fristversäumnis nicht vermeidbar war. Dass nicht der Sachverständige selbst, sondern die von ihm damit beauftragte Sekretärin die Frist unzutreffend eingetragen hat, ist kein hinreichender Entschuldigungsgrund. Die Pflicht zur fristgerechten Gutachtenserstellung und die damit einhergehenden Sorgfaltspflichten treffen den vom Gericht bestellten Sachverständigen persönlich.

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Zum Vergütungsanspruch eines Universitätsarztes

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg - L 2 SF 105/12 E - Beschluss vom 06.12.2012

Nach § 1 Abs. 1 regelt das JVEG die Vergütung von Sachverständigen, die vom Gericht herangezogen worden sind. Daraus ergibt sich, dass nur der herangezogene Sachverständige einen Vergütungsanspruch geltend machen kann. Weiter ist es jedenfalls in der Sozialgerichtsrechtsprechung geklärt, dass das Gericht selbst den Sachverständigen heranziehen muss und die Auswahl des Sachverständigen nicht auf Dritte, sei dies der Dienstherr des Sachverständigen, der Fachvorgesetzte oder der Sachverständige selbst im Hinblick auf ein von ihm für erforderlich gehaltenes Zusatzgutachten, delegieren kann. Ein solches Gutachten wäre nämlich prozessual unverwertbar und würde keinen Vergütungsanspruch auslösen.

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Abrechnung der Dopplersonographie

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 15 SO 275/12 B - Beschluss vom 19.11.2012

Die Ziff. 645 gehört nicht zum Abschnitt O des Gebührenverzeichnisses zur GOÄ. Die dort verzeichnete Untersuchung der Strömungsverhältnisse in den hirnversorgenden Arterien und den Periorbitalarterien mit direktionaler Ultraschall-Doppler-Technik einschließlich graphischer Registrierung (auch als Dopplersonographie der hirnversorgenden Gefäße bezeichnet) ist auch in der Anlage 2 zum JVEG unter den dort genannten Leistungen nicht aufgeführt. Diese Untersuchung wird nicht als elektrophysiologische Untersuchung eines Menschen von der Nr. 305 der Anlage 2 erfasst. Allein der Umstand, dass bei bestimmten Formen der elektrophysiologischen Untersuchung auch Schallwellen (Töne) eingesetzt werden, um elektrische Spannungen auszulösen um diese sodann zu messen, reicht nicht aus, die Dopplersonographie begrifflich als elektrophysiologische Untersuchung eines Menschen aufzufassen. Dem steht ferner entgegen, dass kostenrechtliche Regelungen ihrem Begriffsinhalt nach klar umrissen sein müssen und auch deshalb einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich sind.

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Vergütung bei Gutachten nach § 109 SGG

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 5 SF 36/10 KO - Beschluss vom 10.10.2012

Wegen der Vielfalt der möglichen Sachverhalte, die einer Begutachtung zugrunde liegen können, ist es aus Gründen der Handhabbarkeit sowie der Gleichbehandlung geboten, eine gewisse Pauschalierung vorzunehmen und einen objektivierenden Maßstab zu entwickeln, der für alle Sachverständigenentschädigungen gleichermaßen gilt. Grundsätzlich ist dabei davon auszugehen, dass die vom Sachverständigen angegebene Zeit auch erforderlich war. Daher beschränkt sich die Überprüfung der Kostenrechnung regelmäßig auf eine Plausibilitätsprüfung anhand dieses objektivierenden Maßstabs. Kostenrechtlich ist dabei nicht zu berücksichtigen, ob der Antragsteller die von ihm vor Erstellung des Gutachtens geschätzten voraussichtlichen Kosten dem Gericht mitgeteilt hat, solange das geforderte Honorar den auf die Schätzung gezahlten Kostenvorschuss nicht übersteigt. Grundlage des Vergütungsanspruchs kann nur der tatsächlich objektiv erforderlich gewesene und nicht ein vorab vom Sachverständigen lediglich geschätzter Zeitaufwand sein.

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2000 Anschläge gelten als eine Seite

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht - L 5 SF 93/11 KO - Beschluss vom 08.10.2012

Bei der Frage, wie viele Stunden für die Ausarbeitung des Gutachtens und die Beantwortung der Beweisfragen üblicherweise nötig sind, ergibt sich zunächst die Schwierigkeit, die gelieferten Seiten in eine Standardseite umzurechnen. Erfahrungsgemäß werden nämlich die Seiten eines Gutachtens sehr individuell und oftmals mit sehr großzügigen Schriftbildern und Rändern gestaltet. Es ist daher erforderlich, eine Standardseite festzulegen. Hierfür geht das LSG SH von der heute leicht zu ermittelnden Anschlagszahl einschließlich der Leerzeichen aus. Die Standardseite ist linksbündig geschrieben. Sie hat in Anlehnung an die DIN 5008 rechts und links sowie oben und unten einen Abstand von 2,5 cm zum Blattrand. Der Zeilenabstand beträgt 1,5. Die Schriftgröße soll wegen der besseren Lesbarkeit 12 betragen. Hiernach gehen 34 Zeilen auf eine Seite. Eine Zeile umfasst nach den Auszählungen des Senats ca. 60 Anschläge. Demgemäß enthält eine Standardseite gerundet 2.000 Anschläge.

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Anwaltshonorar

Beschwerde gegen Ablehnung von PKH ohne Rechtsmittel in der Hauptsache

Sächsisches Landessozialgericht - L 8 AS 701/12 B PKH - Beschluss vom 10.01.2013

§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO schließt Beschwerden gegen die Ablehnung von PKH aus, wenn gegen die Hauptsacheentscheidung kein Rechtsmittel gegeben ist.

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Anwalt auch bei Bagatellsachen erforderlich

Bayerisches Landessozialgericht - L 15 SB 127/12 B PKH - Beschluss vom 25.01.2013

Die Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gemäß § 121 Abs. 2 ZPO beurteilt sich nach dem Umfang und der Schwierigkeit der Sache sowie nach der Fähigkeit des Beteiligten, sich mündlich und schriftlich auszudrücken. Entscheidend ist, ob ein Bemittelter in der Lage des Unbemittelten vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn im Kenntnisstand und in den Fähigkeiten der Prozessparteien ein deutliches Ungleichgewicht besteht. Das vom Gesetzgeber in § 121 Abs. 2 ZPO festgeschriebene Erfordernis der Erforderlichkeit anwaltlicher Vertretung beruht im Wesentlichen auf dem Grundsatz der Waffengleichheit. Daneben - wenn auch nur nachrangig - fließen Wirtschaftlichkeitsüberlegungen in die Beurteilung der Erforderlichkeit ein. Denn der Vergleichsmaßstab eines vernünftig handelnden Bemittelten, den das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat, beinhaltet auch, dass der Bemittelte seine Aussichten vernünftig abwägt und dabei auch sein Kostenrisiko berücksichtigt. Nicht zulässig ist es aber, allein aufgrund einer Beurteilung des Verhältnisses von Streitwert und Kostenrisiko zu der Einschätzung einer fehlenden Erforderlichkeit zu kommen; auch bei sogenannten Bagatellstreitigkeiten ist die Gewährung von Prozesskostenhilfe daher nicht ausgeschlossen.

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Darlegungs- und Beweislast bei PKH-Vergütung

Thüringer Landessozialgericht - L 6 SF 1578/12 B - Beschluss vom 27.08.2012

Die Billigkeit der Gebühren des im Wege der PKH beigeordneten Anwalts war bei der Festsetzung von Amts wegen von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle auch ohne Vortrag des Beschwerdegegners zu prüfen. Dem steht nicht der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20. Januar 2011 entgegen. Nach dessen Rechtsansicht ist bei der Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütungen aufgrund der Prozesskostenhilfe und Beiordnung § 14 Abs. 1 S. 1 RVG einschlägig und der Rechtsanwalt trägt für die Billigkeit des anwaltlichen Gebührenanspruchs als anspruchsbegründendes Merkmal die Darlegungs- und Beweislast. Die Staatskasse ist nicht Dritter im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 4 RVG, der nach Ansicht des BGH die Darlegungs- und Beweislast der fehlenden Billigkeit trägt, denn sie hat nicht auf Grund einer Kostenentscheidung als Unterlegene die Gebühren zu erstatten. Vielmehr ist sie aufgrund der Beiordnung für die gesetzliche Vergütung nach §§ 45 ff. RVG Vergütungsschuldnerin des Rechtsanwalts. Dann scheidet ihre Darlegungs- und Beweislast aus.

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Scannen und Dokumentenpauschale

Bayerisches Landessozialgericht - L 15 SF 325/11 B E - Kostenbeschluss vom 13.12.2012

Zur Dokumentenpauschale als Gebührentatbestand, wenn der Rechtsanwalt Behördenakten eingescannt hat.

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PKH bei mehreren Auftraggebern

Sozialgericht Freiburg - S 15 SF 1266/12 E - Beschlusses vom 05.09.2012

Zur Höhe der Gebühr des Rechtsanwalts bei mehreren Auftraggebern, wenn nicht allen Auftraggebern PKH bewilligt wurde.

Der Verlag bedankt sich für die Übermittlung der Entscheidung bei Rechtsanwalt Markus Lorenz

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Gebühr bei Vertretung einer Bedarfsgemeinschaft

Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - L 6 AS 1103/12 - Urteil vom 09.08.2012

Eine Mehrheit von Auftraggebern im Sinne von Nr. 1008 VV RVG liegt nach dem weiten Anwendungsbereich dieser Regelung bereits dann vor, wenn derselbe Rechtsanwalt für verschiedene natürliche Personen tätig wird. Es kommt nicht darauf an, wer persönlich dem Anwalt den Auftrag erteilt hat. Auch dann, wenn nur eine Person für eine von ihr vertretene Personenmehrheit Auftraggeber des Anwalts ist und mit diesem den Anwaltsvertrag abschließt, kann Nr. 1008 VV RVG Anwendung finden. Vor diesem Hintergrund kann nach der Rechtsprechung des BSG auch die Konstellation einer Bedarfsgemeinschaft eine Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG auslösen.

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Grundsicherung für Arbeitssuchende SGB II

Zur Notwendigkeit eines Umzuges

Bundessozialgericht - B 4 AS 32/12 R - Urteil vom 23.08.2012

Als einen Umzug rechtfertigende Umstände sind auch objektiv bestehende sachliche Gründe jenseits einer zwingenden Notwendigkeit eines Umzugs  zu beachten und von den Leistungsberechtigten nur maßvolle Beschränkungen ihrer Gestaltungsmöglichkeiten zu fordern. Ausreichend ist, dass ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund für den Wohnungswechsel vorgelegen hat, von dem sich auch ein Nichtleistungsberechtigter leiten lassen würde.

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Unmöglichkeit der Feststellung eines "Schlüssigen Konzepts" zur Miethöhe

Bundessozialgericht - B 4 AS 44/12 R - Urteil vom 11.12.2012

Kommt ein Gericht zu dem Ergebnis, dass ein schlüssiges Konzept des SGB II Trägers zur Wohnungsmiete im Sinne der Rechtsprechung des BSG für einen bestimmten Vergleichsraum nicht erarbeitet werden kann, sind grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen des Hilfeempfängers zu übernehmen. Diese werden dann  wiederum durch die Tabellenwerte zu § 8 WoGG im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt.

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Wohnraumförderrechtliche Sonderregelungen und angemessene Wohnungsgröße

Bundessozialgericht - B 14 AS 13/12 R - Urteil vom 22.08.2012

Wohnraumförderungsrechtliche Sonderregelungen, die (entsprechend den Vorgaben des § 10 Abs. 1 Nr. 2 WoFG) auf persönliche Lebensverhältnisse Bezug nehmen, sind bei Bestimmung der Wohnflächen für die abstrakte Angemessenheitsprüfung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht zu berücksichtigen. Unbeachtlich ist deshalb, dass nach den Regelungen in Schleswig-Holstein für Alleinerziehende die Vergabe von Wohnungen in Betracht kommt, die bis zu 70 qm (bei 2 Personen) groß sind.

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Übernahmefähige Nebenkosten als Kosten der Unterkunft

Bundessozialgericht - B 14 AS 36/12 R - Urteil vom 29.11.2012

Wasserkosten sind als Kosten der Unterkunft anzuerkennen. Zu den tatsächlichen Aufwendungen i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gehören auch die Nebenkosten der Unterkunft, soweit es sich um die ihrer Art nach in § 2 Betriebskostenverordnung vom 25.11.2003 aufgeführten Betriebskosten handelt, weil der Vermieter sie auf die Mieter umlegen kann, ohne dass Letzterer diese Kosten senken oder gar vermeiden kann. Zu diesen Betriebskosten gehören nach § 2 Nr. 2 BetrKV auch die Kosten der Wasserversorgung, die die Kosten des Wasserverbrauchs, die Grundgebühren, die Kosten der Anmietung oder anderer Arten der Gebrauchsüberlassung von Wasserzählern usw. umfassen und die einer weiteren Aufteilung nicht zugänglich sind.

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Zinsen auf Schmerzensgeld

Bundessozialgericht - B 14 AS 103/11 R - Urteil vom 22.08.2012

Der besonderen Funktion des Schmerzensgeldes als herausgehobene Schutz des Vermögensstamms führt aber nicht dazu, dass Zuflüsse, die nicht unmittelbar zu diesem Vermögensstamm gehören, ebenfalls privilegiert werden. Zinseinkünfte aus Schmerzensgeld sind vielmehr - wie alle anderen Zuflüsse in Geld auch - als Einkommen zu berücksichtigen. Dem steht nicht entgegen, dass Schmerzensgeld unter bestimmten Voraussetzungen als Rente gezahlt wird und bei der Festsetzung der Höhe der Rente eine Verzinsung berücksichtigt wird, wobei die Rente in der Regel neben einen Kapitalbetrag tritt. Dabei müssen Kapitalzahlung und Rente in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen; der Gesamtbetrag muss eine billige Entschädigung für den insgesamt erlittenen immateriellen Schaden darstellen. Die Verzinsung dient bei der Rentenzahlung nur dem Zweck, eine Gesamtentschädigung aus Schmerzensgeldkapital und Schmerzensgeldrente festzulegen, die eine Größenordnung erreicht, die einem ausschließlich in Kapitalform zuerkannten Betrag annähernd entspricht. Die Berücksichtigung von Zinsen bei der Berechnung der Rentenhöhe stellt vor allem einen Ausgleich für das Risiko des frühen Versterbens dar. Hieraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass bei der Auszahlung des Schmerzensgeldes in einer Summe aus Gründen der Gleichbehandlung auch die aus ihm gezogenen Früchte eine besondere Behandlung erfahren müssen. Der Verletzte kann frei entscheiden, wie er mit der Schmerzensgeldzahlung verfahren will. Er kann sie entweder sofort nutzen, um sich zusätzliche Annehmlichkeiten zu gönnen, oder das Geld ansparen. Da die Erzielung von Zinsen auf der persönlichen Entscheidung des Berechtigten über die Verwendung des Schmerzensgeldes beruht, scheidet eine Ausdehnung der sozialhilferechtlichen Privilegierung von Zinsen aus angelegtem Schmerzensgeld schon aus Gründen der Gleichbehandlung aus.

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Heizkostenerstattung und Insolvenz

Bundessozialgericht - B 14 AS 188/11 R - Urteil vom 16.10.2012

Zwar geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter bzw. bei einer Verbraucherinsolvenz, wie vorliegend, auf den Treuhänder über. Auch umfasst die Insolvenzmasse das Gesamtvermögen, das dem Schuldner zurzeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (§ 35 Abs. 1 InsO), also auch Forderungen, wie z.B. aufgrund einer Abrechnung in einem Schuldverhältnis. Andererseits gibt es aber zahlreiche Ausnahmen bei der Bestimmung der Gegenstände und Forderungen, die zur Insolvenzmasse gehören. Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nicht zur Insolvenzmasse. Die §§ 850 ff ZPO mit insbesondere dem Schutz von Arbeitseinkommen und Sozialleistungen gelten entsprechend. Dies führt dazu, dass Einkommen des Insolvenzschuldners, das bei der Deckung seines Bedarfs nach dem SGB II zu berücksichtigen ist, schon nicht der Pfändung und Zwangsvollstreckung unterliegt und daher auch nicht Teil der Insolvenzmasse wird.

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SGB II für Studenten im Urlaubssemester?

Bundessozialgericht - B 14 AS 197/11 R - Urteil vom 22.08.2012

Voraussetzung für die Förderungsfähigkeit einer Ausbildung dem Grunde nach ist zunächst der "Besuch" einer Ausbildungsstätte (im Sinne der organisatorischen Zugehörigkeit zu dieser Ausbildungsstätte), die sich den in § 2 Abs. 1 BAföG genannten Schulgattungen zuordnen lässt. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG besucht ein Auszubildender eine Ausbildungsstätte, solange er dieser organisationsrechtlich angehört und die Ausbildung an der Ausbildungsstätte tatsächlich betreibt. Bei einer Hochschulausbildung begründet der Auszubildende seine Zugehörigkeit zu der Universität durch die Immatrikulation, die ihrerseits die Einschreibung in eine bestimmte Fachrichtung notwendig macht. Es kommt mithin bei einem Urlaubssemester für die Förderfähigkeit dem Grunde nach sowohl auf die organisationsrechtliche Zugehörigkeit des Studierenden zu der Ausbildungsstätte an, die mit einer bestimmten Fachrichtung verknüpft sein muss, als auch auf ein tatsächliches Betreiben des Studiums.

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Sozialhilfe SGB XII

Zur Verfügungsbefugnis eines Ehegatten über den Anteil des anderen Ehegattens

Bundessozialgericht - B 8 SO 13/11 R - Urteil vom 20.09.2012

Ohne rechtliche Bedeutung ist ein klägerischer Einwand, er könne über seinen Miteigentumsanteil nicht ohne die Zustimmung des Ehepartners verfügen. Das normative Konzept des § 19 Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 1 SGB XII lässt einen solchen Einwand nicht zu. Die bezeichneten Normen bestimmen vielmehr ausdrücklich, dass auch das alleinige Vermögen des Ehepartners bei der Gewährung von Sozialhilfe zu berücksichtigen ist, sodass sogar die Konstellation erfasst wird, in der von vornherein eine Verfügungsbefugnis des um Sozialhilfe Nachsuchenden fehlt; diesem Konzept würde es zuwiderlaufen, wenn der um Sozialhilfe Nachsuchende einwenden könnte, über das Vermögen überhaupt nicht verfügen zu können. Folgerichtig muss es für eine rechtliche Verfügbarkeit im Sinne des SGB XII genügen, wenn bzw. dass beide Eheleute gemeinsam über einen Vermögensgegenstand oder das gesamte Vermögen verfügen können. Der Gesetzgeber geht mithin typisierend davon aus, dass im Rahmen einer Einstandsgemeinschaft nach § 19 Abs. 1 bis 3 SGB XII die Personen einander auch tatsächlich die entsprechenden Unterstützungsleistungen erbringen.

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Zum weiteren notwendigen Lebensunterhalt im SGB XII

Bundessozialgericht - B 8 SO 25/11 R - Urteil vom 15.11.2012

Mit dem weiteren notwendigen Lebensunterhalt im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt in stationären Einrichtungen ist grundsätzlich alles gemeint, was nicht bereits Teil des notwendigen Lebensunterhalts nach § 35 Abs. 1 SGB XII in der Einrichtung und nicht vom Barbetrag zu decken ist; umfasst sind mithin alle aktuellen Bedarfe, die ohne die stationäre Unterbringung als Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten wären und von der Einrichtung selbst nicht erbracht werden. Kleidung und angemessener Barbetrag, der nur dazu dient, die persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens, Aufwendungen für Körperpflege und Reinigung, für die Instandhaltung der Schuhe, Kleidung und Wäsche in kleinerem Umfang sowie die Beschaffung von Wäsche und Hausrat von geringem Anschaffungswert abzugelten.

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Buchrezension

Berlit, Conradis, Sartorius (Hrsg.) 
Existenzsicherung Nomos, 2. Aufl. 2013, 1212 Seiten, € 89,- 
ISBN: 978-3 - 8329 - 4709 - 5 

Das Buch besteht aus sieben Teilen, die wiederum in 63 Kapitel unterteilt sind. Nach den ersten beiden Teilen, die sich mit der Theorie und den gesellschaftlichen Grundlagen der Existenzsicherung widmen, folgen allgemeine Teile: Das Leistungsrecht, Allgemeine Leistungsgrundsätze, Existenzsichernde Sozialleistungen. Erst dann folgt die Darstellung besonderer Personengruppen und Bedarfslagen, Sicherung und Herstellung des Nachranges, Leistungserbringung, Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. 
Die Kapitel haben einen einheitlichen Aufbau: Literaturhinweise / Rechtsgrundlagen und Orientierungssätze / Inhaltsverzeichnis des Kapitels. Praktisch: Die Quellen und Zitate (z. B. Rechtsprechung) sind jeweils am Ende einer Seite aufgelistet, nicht am Ende des Kapitels oder gar des Buches. Das spart das lästige Hin- und Herblättern. 
"Das große Beraterhandbuch" verkündet der Verlag auf dem Einband und dieses Schlagwort ist zu eng gefasst. Mit dem Blick auf die reine Praxistauglichkeit (im Übrigen: 1212 Seiten und dann "Handbuch"?) erwähnt der Verlag nur einen Teil des Inhaltes. Die ersten zwei Teile sind theoretische Zusammenfassungen, z. B. "Existenzsicherung und Armutsforschung", "Strukturprinzipien des Rechts der existenzsichernden Sozialleistungen", die m. E. wenig mit der Beraterpraxis zu tun haben. 

Dörr 
Bescheidkorrektur, Rückforderung, Sozialrechtliche Herstellung Boorberg, 5. Aufl. 2013, 308 Seiten, € 37,80 
ISBN: 978-3-415-04869-0 

Ein "Arbeitshandbuch zum Sozialverwaltungsrecht" soll es laut Untertitel sein. Mit Verlaub, dafür ist erstens die Materie zu kompliziert und zweitens der Inhalt des Buches nur unzureichend wiedergegeben. 
Das Buch besteht aus 15 Kapiteln, von denen sich 13 mit dem Verwaltungsverfahren des SGB X beschäftigen, eines der höchstrichterlichen Rechtsprechung gewidmet ist und das Letzte Lösungen zu den Übungsfragen der vorhergehenden Kapitel enthält. 
Der Aufbau der Kapitel ist im Grunde immer der Gleiche: Norm - Beschreibung - Anwendungsbeispiele - Literaturhinweise - Übungsaufgaben. Allerdings enthält jedes Kapitel die wichtigsten Thesen in einem grauen Kästchen zusammengefasst. Allein diese "Merksätze" hätten für ein Arbeitshandbuch ausgereicht. Der Verfasser macht sich hier ungleich mehr Mühe, in dem er diese Sätze vorher noch erläutert. Dieses Buch sollte sich jede Behörde für ihre MitarbeiterInnen "gönnen". 

M. Schörnig 
Rechtsanwältin

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